Der Scheffelstein am Löbauer Markt
Wenn es um uralte Maße und Gewichte geht, gehört der Scheffel mit Sicherheit zu denen, die viele Leute noch kennen. Einst stand ein entsprechender Messtrog am Rand des Löbauer Marktes. Doch eines Tages hatte er ausgedient und der Rat ließ ihn abbauen. Heute steht er wieder da – und wir freuen uns darüber.
Scheffel ist nicht gleich Scheffel
Immer an Markttagen herrschte in Löbau reger Betrieb. Seit dem Mittelalter war das nichts Besonderes. Umso mehr das 1221 erstmals genannte „Opidum Lubaw“ vom böhmischen König als Handelsplatz gegründet wurde. Auf dem gesamten Areal südlich des Rathauses standen bis in das Bankgässchen hinein Händler und boten ihre Waren feil. Darunter befanden sich auch Bauern, die aus ihren schweren Maltersäcken Getreide verkauften. Meist war es Weizen, den die Leute erwarben, um ihn auszusäen oder Mehl daraus zu machen. Damit der Bauer das Korn ordentlich abmessen konnte, ging er mit seinem Kunden an das vor dem Rathaus stehende hölzerne Scheffelmaß und schüttete die gewünschte Menge hinein. Dabei musste er sich ein wenig auskennen. Am Löbauer Markt maß man nämlich den böhmischen Scheffel ab, der umgerechnet 50 Liter ausmachte. Daneben aber existierten in deutschen Landen eine Unmenge anderer Scheffelgrößen. Der Bayer zum Beispiel bemaß 222,357 Liter, der Görlitzer 141 und der Berliner 54,91 Liter. Das kleinste deutsche Scheffelmaß betrug 17,38 und das Größte 310,25 Liter. Da konnte ein normales Menschlein schon mal durcheinanderkommen.
Der Löbauer Scheffel gerät in die Kritik
Wie es im Leben geht, schlägt allem irgendwann die Stunde – sogar einem Scheffelmaß. Im Jahre 1710 brannten große Teile Löbaus ab. Mit ihnen versanken das Rathaus und höchstwahrscheinlich auch der hölzerne Scheffeltrog in Schutt und Asche. Stark anzunehmen, dass die Stadtherren nach dem Wiederaufbau des Rathauses ebenjenen steinernen Scheffel (siehe Bild) vor ihm aufstellen ließen. Über 100 Jahre später sorgte dieser für einen Dauerstreit. Als 1845 in der Oberlausitz der Dresdner Scheffel mit umgerechnet 107,33 Litern eingeführt wurde, war der alte Stein zum Messen untauglich. Selbst nach zweimaligem Vollschütten bekam der Bauer kein Dresdner Maß auf die Reihe. Und mit dem Aufhäufeln war das so eine Sache: Dem Verkäufer schien der Berg immer zu groß, dem Kunden logischerweise zu klein. Der Stein schaffte es daraufhin negativ bis in die Presse, trotzdem blieb er vor Ort. 1872 kam für ihr jedoch das endgültige Aus. Das neugegründete Deutsche Reich führte das Pariser metrische System ein. Alle herkömmlichen Maße waren hinfällig. Die Deutschen mussten sich an Meter, Kilometer, an Quadrat und Kubik gewöhnen. Und Getreide füllte man jetzt nicht mehr, sondern wog es ab in Gramm, Kilogramm oder Tonnen. Unnütz geworden entfernte die Löbauer Stadtverwaltung den Scheffelstein und gab ihn später an das Museum ab.
Das Licht nicht unter den Scheffel stellen
Lang lang ist’s her, als der Scheffel in den Annalen der Geschichte verschwand. Dennoch haben die Menschen ihn hierzulande nie vergessen. Zwar weiß kaum einer mehr Bescheid über die alten Maße, gleichwohl konnte er seinen Platz im deutschen Sprachgebrauch behaupten. Zahlreiche Sprichwörter nehmen Bezug auf ihn: „Nenne niemanden deinen Freund, wenn du nicht mindestens einen Scheffel Salz mit ihm gegessen hast“. Das ist eines der vielleicht weniger geläufigen Lebensweisheiten. Dafür kennt jeder den Begriff „Geld scheffeln“, falls jemand mittels einer Dienstleistung oder Ware viel verdient. Und der wohl berühmteste Spruch: „Du sollst dein Licht nicht unter den Scheffel stellen“, geht auf keinen geringeren als Jesus-Christus zurück. Man sagt ihn oft zu Personen, die sehr bescheiden auftreten. So meinte Jesus zu seinen Jüngern, sie sollen ihr Licht leuchten lassen, damit die Menschen ihre guten Werke sehen. Zum Gleichnis führte er eine Kerze an, die ja niemand anzündet, um sie anschließend unter einen Scheffel zu stellen. Jesus verwendete allerdings den Begriff „Modius“, der für ein römisches Hohlmaß steht. Den „Scheffel“ hat erst Martin Luther in die von ihm übersetzte Bibel gebracht.
Dem Altstadtverein Löbau indes war das egal. Er wollte am 15. Oktober 2019 sein Licht nicht unter den Scheffel stellen. Wie Bernd Sockel in der vorübergehenden Eigenschaft als Ratsherr an diesem Tag nach einem Trompetensignal verkündete, hat der Verein keine Mühen gescheut, um mit Hilfe des Museums, des Bauhofes und hochbegabter Fachleute, den kostbaren Stein wieder seiner Bestimmung zuzuführen. Sein herzlicher Dank galt dabei all jenen Spendern, die das Projekt möglich gemacht hatten. Anschließend durften sich die anwesenden Löbauer noch ihren (Mini)Scheffel Weizen abfüllen lassen.
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