Ein kräftiges Horrido - Der Jägertag vor 90 Jahren in Löbau

Genau 90 Jahre sind es her, da erlebte Löbau ein Fest, von dem die Leute noch lange sprachen. Mit jetzigen Events ist es sicher nicht zu vergleichen. Dennoch könnte man sagen, es käme dem Miniformat eines Erntedankfestes oder Tages der Sachsen nahe. Heute jedoch ist das damalige Ereignis gänzlich vergessen. Deshalb hier eine kleine Reminiszenz. 

Jägerkaserne Löbau 1914

Anfang September 1930 fieberten die Löbauer Festtagen entgegen, auf die sie schon lange gewartet hatten. Monate liefen die Vorbereitungen und nun, am Sonnabend, dem 6. September, war es endlich soweit: Aus ganz Sachsen reisten ehemalige und aktive Jäger zum 4. Sächsischen Jägertag an. Bis einschließlich Montag wartete ein umfangreiches Programm auf sie, an dem sich die Bevölkerung rege beteiligte. 

Wer jetzt denkt, diese Jäger waren rüstige Weidgenossen, irrt. Sie alle gehörten einstmals den Königlich-Sächsischen Jägerbataillonen Nr. 12 und 13, sowie den im 1. Weltkrieg mobil gemachten Reserve-Jägerbataillonen Nr. 15, 25 und 26 an. Seite an Seite hatten sie an den Fronten des Krieges gekämpft und trafen sich nun, um in Erinnerungen zu schwelgen und Spaß zu haben. Aus allen Ecken der Stadt schallte an diesem Wochenende ein kräftiges „Horrido“. Das kam nicht von Ungefähr, denn im Grunde standen die Jäger sehr wohl im engen Verwandtschaftsverhältnis mit ihren Wald- und Flurkollegen. Im Jahre 1809 nämlich hatte Friedrich August I. Letztere aus ganz Sachsen zusammengeholt und sie unter Oberst Thielemann in einem sächsischen Jägerkorps vereint. Geblieben waren ihr Gruß und auch das Motto für diese drei Tage:

„Wo wahre Jäger Helfer sind, da ist es wohl bestellet.“

Jägerkaserne 1935 vom Löbauer Berg aus fotografiert

Protestkundgebung 1919 auf dem Löbauer Altmarkt gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrages

Für die Löbauer stand der Jägertag unter einem besonderen Stern. Hörten sie den Namen Jägerbataillon Nr. 12, hatte so mancher von ihnen Wehmut im Herzen, denn vor über 17 Jahren sollte diese Einheit von Freiberg nach Löbau verlegt werden. Am 1. April 1913 legten sie den Grundstein für ihre neue Kaserne, aber der Krieg machte alle Pläne zunichte. Sie hatten sich so sehr gefreut, sammelten für ‚ihre‘ Jäger und schickten Hilfspakete, sogenannte Liebesgaben, an die Front – doch vergeblich! Mit den Bestimmungen des Versailler Vertrages lösten die Siegermächte die alte kaiserliche Armee und somit die Jägerbataillone auf. Zwar standen die Löbauer Bürger 1919 noch zu Tausenden auf dem Altmarkt und protestierten gegen das Versailler Diktat (siehe Bild), niemand jedoch hörte auf sie. Gerade deshalb wollten sie an diesem Wochenende mit den Jägern feiern – vereint in der Sehnsucht nach den ‚guten alten Zeiten‘ des Kaiserreiches. Sie hatten die Nase gestrichen voll! Noch kein Jahr war es her, als im Oktober 1929 der Crash an der New Yorker Börse die Welt in eine schwere Krise stürzte. Arbeitslosigkeit und soziales Elend grassierten im Land. Die Politiker von SPD, Zentrum sowie den liberalen Parteien DVP und DDP brachten unter der Führung ihres Reichskanzlers Heinrich Brüning nichts mehr auf die Reihe. Zunehmend regierten sie mit Notverordnungen und schränkten bürgerliche Rechte drastisch ein. 

Bahnhof Löbau, Ansichtskarte 1910

Ansichtskarte um 1900. Schneiders Restauration gegenüber dem Bahnhof. Später Landmannsheim.

In der Hoffnung auf eine bessere Zukunft begrüßte der 1. Bürgermeister Dr. Ungethüm die Jäger am Sonnabend mit den Grußworten:
„… dass für sie alle die Löbauer Tage zu einem Erlebnis echter Kameradschaft und eines wahrhaften, innerlichen Voksgemeinschaftsgeistes werden möchten.“

Ab 08:00 Uhr trafen die Jäger Zug um Zug am Bahnhof ein. Gegenüber im Landmannsheim nahmen Mitarbeiter der Stadtverwaltung die Ankommenden in Empfang und wiesen ihnen sogenannte ‚Standquartiere‘ zu. Streng getrennt, damit jeder seine Kameraden gleich wiederfand, hatte die Stadt pro Kompanie eine Kneipe reserviert. An Örtlichkeiten dazu mangelte es nicht (siehe Artikel „Alte Löbauer Gaststättenwelt“). So kamen die Veteranen der 12er und 26er zum Beispiel im Reichshof, Reichsadler sowie Ratskeller und die der 13er, 15er und 25er im Alten Krug, Goldenen Hirsch, Schwarzen Lamm und vielen anderen Gaststätten unter. Die Offiziere residierten getrennt und standesgemäß im Wettiner Hof. Verständlich, dass angesichts dieses Publikums das Geschäft der Löbauer Wirte bereits am Vormittag auf Hochtouren lief. Alle Neuankömmlinge wurden bejubelt. Tränen kullerten aus Männeraugen, man lag sich in den Armen, Bierhumpen krachten beim Prosit aneinander und bei jeder Runde Schnaps ertönte ein kräftiges Horrido. Gleichlaufen wurde am Mittag das Landesverbandsschießen am Schützenhaus eröffnet und abends gab es parallel zueinander zwei Kommerse (offizielle Feiern). Auf den Sälen des Schützenhauses und der Tonhalle hörten die Teilnehmer Festansprachen und sahen Tanz- sowie Sportvorführungen der Vereinigung Turnvater Jahn aus Löbau. Dazu spielte im Schützenhaus die Kapelle des hiesigen Infanterieregiments und in der Tonhalle die Schmidt’sche Kapelle aus Löbau.

Gruppenbild Sächsische Jäger 1917

Die Feierlichkeiten gingen bis in den frühen Morgen. Ein Ausschlafen gab es am Sonntag aber weder für die Löbauer noch die alten Kameraden. Pünktlich um 07:00 Uhr marschierte eine Gruppe mit Jagdhörnern vom Restaurant Quelle bis zum Schützenhaus und blies quer durch die Stadt ihren Weckruf. Niemand wollte im Bett bleiben, schließlich gab es an diesem Tag für Jung und Alt eine Menge zu erleben. Schon ab 08:00 Uhr knallten auf dem Schießplatz die Büchsen der Landesschützen. Preisschießen war angesagt! Aber nicht nur für sie, denn heute durfte jedermann mitmachen. Wer Glück hatte, konnte am Abend in der Schützenhalle sogar einen Preis abfassen. Leute, denen nicht danach war, brauchten nur ein paar Meter weitergehen. Auf dem Sportplatz hinter dem Schützenhaus hielt um 09:00 Uhr Pfarrer Teichgräber einen großen Feld- und Gedächtnisgottesdienst ab, untermalt von der Reichswehrkapelle und dem Löbauer Liederbund. Neben vielen kleineren Veranstaltungen folgte ein Platzkonzert auf dem Altmarkt, bevor es zum Höhepunkt des Jägertages kam. Punkt 13:30 Uhr formierten sich Löbauer und Veteranen entlang der Äußeren Bautzener Straße und liefen in einem großen Festumzug quer durch die Stadt. Am Schützenhaus angekommen luden die Organisatoren zu einem Familienfest und abends zum Ball ein.

Für die Bevölkerung ging damit das Fest zu Ende. Am Montag unternahmen die ehemaligen Jäger noch eine Ausfahrt ins Zittauer Gebirge, dann reisten sie ab. Vergessen aber waren sie nicht. Der Jägertag blieb lange im Gedächtnis der Löbauer. Nicht etwa, weil sie sich nach dem Militär sehnten, ganz im Gegenteil: Frieden sollte sein und wieder Ordnung sowie Wohlstand eintreten – in einem Deutschland, das sich endlich von seinen Ketten befreit. Ihr vermeintlicher (bzw. unvermeidlicher) Heilsbringer stand schon an der Startlinie …

Schon 8 Jahre später kam der „Heilsbringer“ nach Löbau. Lesen Sie die Geschichte in meinem Buch „Verratene Liebe“. Sie erhalten es in allen Buchhandlungen und bei amazon. Hier klicken!

Lesen Sie auch meine anderen Bücher - historische Geschichten aus der Oberlausitz

spannend - unterhaltsam - emotional